Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen (German Edition) by Volker Weidermann
Autor:Volker Weidermann [Weidermann, Volker]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462317886
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch eBook
veröffentlicht: 2017-11-08T23:00:00+00:00
Sonntag, 6. April 1919, zehn Uhr abends. Wittelsbacher Palais, Schlafzimmer der Königin. Endlich ist es so weit. Es sind alle da. Vertreter der sozialistischen Parteien, anarchistische Gruppen, Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrats, Bauernrat. Nur die Kommunisten fehlen. Und die Kundschafter aus dem Norden Bayerns. Egal. Es geht jetzt los. In Würzburg, Augsburg, Fürth, Aschaffenburg, Lindau, Hof ist in diesen Stunden bereits die Räterepublik ausgerufen worden. Es gibt jetzt eigentlich nichts mehr zu diskutieren. Der Palast ist bereit. Toller lässt die Blicke schweifen: »Wo früher Zofen und betreßte Lakaien herumwedelten, stapfen jetzt die groben Stiefel von Arbeitern, Bauern und Soldaten, an den seidenen Vorhängen der Fenster des Schlafzimmers der Königin von Bayern lehnen Wachen, Kuriere, übernächtigte Sekretärinnen.«
Ernst Niekisch, als Vorsitzender des Zentralrats, eröffnet die Sitzung. Dann geht es los.
Auf diesen Moment hat Gustav Landauer lange gewartet. Landauer, der Umbildner der bayerischen Seelen, den Eisner im November zu sich nach München gerufen hatte, der dann aber bald schon den Ministerpräsidenten für seine kompromisslerische Haltung kritisiert und am Ende die Trauerrede auf seinen alten Freund und Kampfgefährten gehalten hatte. Es ist seine Stunde. Er hatte lange gezögert, lange auf diesen einen Moment gewartet. Als Ernst Toller ihn 1917 im bayerisch-schwäbischen Krumbach aufgesucht hatte, um ihn aufzufordern mitzumachen, jetzt, beim großen Kampf gegen den Krieg, für einen neuen, einen guten Frieden, da hatte er dem jungen Feuerkopf entgegnet: »Ich habe mein Leben lang gearbeitet, daß diese Gesellschaft, die auf Lug und Trug, auf der Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen ruht, zusammenbreche, jetzt weiß ich, der Zusammenbruch wird kommen, morgen oder in einem Jahr, ich habe das Recht und den Atem, mich für diese Zeit zu bewahren, wenn die Stunde es fordert, werde ich dasein und arbeiten.«
Jetzt war sie da. Es bestand kein Zweifel. Landauer hatte in den letzten Tagen, zusammen mit Erich Mühsam, in einem Restaurant, in das sie sich zurückgezogen hatten, die Proklamation einer Räterepublik entworfen. »An das bayerische Volk« haben sie oben auf den Kopf des Papiers geschrieben und unterstrichen. Dann nur ein Satz in der nächsten Zeile: »Die Entscheidung ist gefallen.«
Landauer hält das Papier in der Hand. Er ist ein großer Mann, er überragt die ganze Versammlung hier. Stolz, dünn, bärtig, aufrecht, wie ein gestreckter neuer Kurt Eisner sieht er aus. Er weiß genau, was zu tun ist. Er stellt den Antrag, die Anwesenden mögen sich zur konstituierenden Versammlung der Räterepublik Bayern erklären. »Die Revolution sei stets ein schöpferischer Akt, der mit einem unerwarteten Schritt beginnen müsse«, erinnert sich Niekisch später an Landauers Worte. Dann wird wieder geredet und abgewogen, werden die immer gleichen Argumente getauscht.
Aber etwas ist anders in dieser Nacht. Im Laufe des Tages waren sämtliche Minister des Ministerrates unter der Leitung von Johannes Hoffmann zurückgetreten. An der Spitze des Staates war nun auch offiziell ein Vakuum entstanden. Und Landauer spricht so klar und entschlossen. Niemand stimmt gegen Landauers Antrag. Einzig Niekisch enthält sich der Stimme.
Nachdem alle noch eine Weile durcheinandergeredet haben, geht es schon an die Ämterverteilung einer zukünftigen Räterepublik. Nicht mehr »Minister« werden sie genannt, sondern »Volksbeauftragte«.
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